Im Rahmen der Untersuchungen zur Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Deutschland wird en passant in der Regel auch die Nachkriegsgeschichte erwähnt, besonders im Rahmen solcher Untersuchungen, die auf biographischen oder lebensgeschichtlichen Quellen basieren oder solche zumindest als Ergänzung berücksichtigen. Die Migration nach dem 8. Mai 1945 wird dabei jedoch üblicherweise als ...
(Show more)Im Rahmen der Untersuchungen zur Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Deutschland wird en passant in der Regel auch die Nachkriegsgeschichte erwähnt, besonders im Rahmen solcher Untersuchungen, die auf biographischen oder lebensgeschichtlichen Quellen basieren oder solche zumindest als Ergänzung berücksichtigen. Die Migration nach dem 8. Mai 1945 wird dabei jedoch üblicherweise als Endpunkt einer vorherigen Entwicklung thematisiert, nicht als zentrale Durchgangsstation zu einem neuen Abschnitt millionenfacher Lebensläufe, vor allem in Ost-, aber auch in Süd- und Westeuropa, in geringerer Zahl auch im Norden oder außerhalb Europas.
Gerade die Zwangsarbeiter/innen aus der ehemaligen Sowjetunion erfuhren ihre Rückkehr durch die Filtrationslager hindurch entweder nach Hause oder in andere Lager, zur Roten Armee oder zu neuerlicher Dienstverpflichtung vielfach als weitere traumatische Wendung ihres Lebenswegs. Aber auch in anderen Ländern des ehemaligen sowjetischen Machtbereichs sahen sich die so genannten „Fremdarbeiter“ des Dritten Reichs bald mit ähnlichen ausgrenzenden gesellschaftlichen und politischen Zuschreibungen konfrontiert, wenn auch nicht mit der harschen Konsequenz der Sowjetunion, wo schon kurz nach Beginn der Deportationen aus den besetzten Landesteilen über allen Verschleppten und Gefangenen ein pauschaler Verrats- und Kollaborationsvorwurf der Staats- und Parteiführung schwebte. Ebenso war die Rückkehr in die Gesellschaften Westeuropas von starker, pauschalierender Ablehnung geprägt, wenn auch teilweise aus anderen Motiven. Hier zeigte die Zurückweisung eine stärkere gesellschaftliche Dynamik, die die zur Arbeit gezwungenen Landsleute als illoyale Nutznießer der deutschen Herrschaft über Europa brandmarkte.
In den Ländern Süd- und Südosteuropas war das Phänomen der Zwangsarbeit eher einer allgemeinen Wahrnehmung von NS-Opfern untergeordnet, in der diese spezielle Opfererfahrung mit taktisch und politisch wechselnden Inhalten je nach Kontext positiv oder negativ aufgeladen wurde. In Israel wiederum nahm diese Tendenz eine andere Ausrichtung, da hier der Holocaust als paradigmatische Opfererfahrung die Zwangsarbeit in ihrer Bedeutung vollkommen absorbierte bzw. diese eher noch in ihrer potentiell lebensverlängernden oder sogar lebensrettenden Dimension mit Sinn erfüllt wurde und wird.
Diesen Oberflächenbefunden, die, wenn überhaupt, bisher nur einer groben sozialhistorischen Strukturierung unterzogen wurden, gilt es jetzt, differenziertere und qualitativ ausgerichtete Analyse- und Deutungsebenen einzuziehen, wobei ein länderübergreifend vergleichender Zuschnitt sich dem Thema geradezu aufdrängt. Das System der NS-Zwangsarbeit hatte eine europaweit angelegte und umgesetzte Struktur, deren Rahmenbedingungen, Praxis und Nachwirkungen kontinentale Dimensionen hatte und nur in ebensolchen adäquat analysiert werden kann. Grundsätzlich sollen die Erwartungen, subjektiven Deutungen und Strategien der Rückkehrer in Auseinandersetzung mit der bestenfalls zurückhaltenden Begrüßung, die Ihnen in der alten Heimat zuteil wurde, analysiert werden. Dies soll in gleicher Weise für die weiteren betroffenen europäischen Staaten und Israel geleistet werden.
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